„Die versteckte Lust der Frauen – Ein Forschungsbericht“ von Daniel
Bergner
Dieses Buch erregte schon vor
seinem Erscheinen in Deutschland reges Interesseviel Aufsehen. Zahlreiche Tageszeitungen rezensierten
das Buch und führten Interviews mit dem Autor. Aber wie kann ein
Forschungsbericht ein solches Medieninteresse hervorrufen? Ganz einfach: Es
geht um Sex - aber auch wieder nicht. Es geht um Frauen - aber auch um Männer. Aber
vor allem geht es um Lust - oder um das Fehlen der Lust. Das Interview mit dem
Autor in einer Tageszeitung hat letzten Endes auch das bewirkt, was bezweckt
war: Ich habe mir das Buch gekauft.
Frauen sind, was ihre Lust angeht,
eingeklemmt zwischen Gesellschaft und Empfinden, zwischen Gehirn und
Geschlechtsorganen. Denn was sie selbst über ihr sexuelles Empfinden berichten,
stimmt meistens nicht mit dem überein, was Sexualforscher weltweit in
verschiedensten Experimenten gemessen haben. Diese Forschungsberichte fasst
Daniel Bergner zusammen. Und er stellt fest: Frauen sind ganz anders, als uns
die Forschung und Ethik jahrelang glauben machen will.
In jedem Kapitel stellt er einen
neuen Bericht vor und bringt ihn in Zusammenhang mit den anderen Berichten, die
er zusammengetragen hat. Und diese kompakte Menge an Forschungsberichten und
wissenschaftlichen Erkenntnissen zeichnet ein unglaublich vielschichtiges und
umfangreiches Bild der weiblichen Lust, was alle bisherigen Annahmen auf den
Kopf stellt. Das weibliche Verlangen hat eine weit größere, weit animalischere
Macht, als bisher angenommen.
Frauen als Hüter der Monogamie, Frauen
wollen feste Bindungen, Frauen brauchen Nähe und Vertrauen, Frauen brauchen
Treue. All diese Vorurteile wirft Bergner über den Haufen. Daniel Bergner kommt in seinem Buch zu einem
bahnbrechenden Ergebnis. Frauen sind nicht nur auf gleiche Weise sexuell, wie
Männer, sondern sogar noch viel mehr. Sie neigen, nach den Ergebnissen, sogar
eher zu Promiskuität als Männer. Sie verlieren schneller die Lust am Gewohnten,
das „Begehrt werden ist ihr Orgasmus“, schreibt Bergner. Frauen haben von Natur
aus einen viel stärkeren sexuellen Trieb, was Bergner anhand von mehreren
Forschungsergebnissen nachweisen kann. Allein die engen moralischen Rahmen in
unseren Kulturen, in denen sich die weibliche Sexualität bisher bewegen musste,
belasten die den Frauen inne liegende Sexualität und setzten sie unter Druck. Das
führt soweit, dass Frauen ihr Verlangen nicht einmal sich selbst gegenüber
zugeben wollen. Dies schafft psychische Probleme.
Viele dieser Erkenntnisse sind
bereits aus der Frauenbewegung bekannt, einige der Forschungsergebnisse sind
auch schon ein paar Jährchen alt. Was Bergner schreibt ist also nicht grundlegend
neu, nur die Art der Aufbereitung für ein breiteres Publikum und die kompakte
Sammlung mehrerer Forschungsergebnisse und deren Bezüge untereinander, ist neu.
Viele der Forscherinnen und Forscher, die
Bergner interviewt hat, kannten sich untereinander nicht. Er öffnet neue Türen
zu gemeinsamer Forschung, die vielleicht zu noch erstaunlicheren Ergebnissen
führt.
Nun mag man sich fragen: Warum das alles? Sind wir in unserer Gesellschaft nicht
schon genug von zu viel sexuellen Reizen überflutet? Ja, aber es geht hier
nicht um Pornographie oder schlichte Fortpflanzungstriebe, mit denen weibliche
Sexualität bis heute begründet wird. Es geht um Verlangen, Begehren und Liebe.
Denn all diese Forschungen wurden überhaupt erst durchgeführt weil Psychologen
weltweit ständig mit sexuellen Problemen ihrer Patienten zu tun haben, speziell
die Paartherapeuten. Da gibt es Millionen von Menschen mit Problemen, denen man
helfen wollte. Es ist Sand im Getriebe und man wollte herausfinden warum.
Jedes Kapitel beginnt und endet
mit einer passenden Geschichte einer Frau mit einem Problem. Dieses Problem
kann durch die Erkenntnisse im entsprechenden Forschungsbericht gelöst werden.
Jedoch sind es gerade diese kleinen Geschichten, die diesen Forschungsbericht zwar
belletristisch interessant und flüssig lesbar machen, aber andererseits die
wichtigen Erkenntnisse zu sehr ins populärwissenschaftliche Milieu rücken, was
wiederum ein falsches oder diffuses Licht auf sie werfen könnte. (Auf eine Beschreibung
des Aussehens der Forscherinnen hätte ich beispielsweise gern verzichtet.) Auf
der anderen Seite geht es ja gerade darum sich selbst zu erkennen, daher sollte
dieses Buch eben gerade für jedermann (oder besser jedefrau) verständlich sein,
damit alle den brisanten Inhalt begreifen und sich helfen können. Eine mutige
Gratwanderung, die es bis ganz nach oben in die deutsche Presselandschaft
geschafft hat.
Weiterführende Links zu den Arbeiten einiger im Buch genannter Forscher/innen (Texte auf Englisch) hat kleinerdrei zusammengesammelt, die ebenfalls eine Rezension zu dem Buch geschrieben hat. (Hier der Link dazu: http://kleinerdrei.org/2014/02/die-versteckte-lust-der-frauen-oder-sweet-dreams-are-made-of-this/)
Meredith Chivers: Publikationen,
im Interview über “Arousing
questions about female sexuality” und auf Twitter
Nancy Cott hat sich mit dem
viktorianischen Standpunkt zur weiblichen Sexualität befasst. Einen Text
darüber gibt
es hier im Blog “Sexuality in American History”.
Kim Wallen veröffentlichte unter
anderem dazu, wie unterschiedlich Frauen* und Männer* explizit sexuelle Fotos
betrachten – hier gibt es
dazu mehr Infos (Englisch).
Beverly Whipple hat zusammen mit
Barry R. Komisaruk und Carlos Beyer-Flores ein Buch über “The Science of
Orgasm” (hier
auf Amazon) geschrieben. Komisaruk erzählt in
diesem Text etwas über ihre Arbeit daran und die Ergebnisse.