Sonntag, 27. Mai 2018

Rezension: „Im Kühlfach nebenan“ von Jutta Profijt

„Im Kühlfach nebenan“ von Jutta Profijt

Die Autorin hatte einen „Ghostwriter“. Das will uns zumindest das Buch Glauben machen, was aus der Perspektive von Pascha, dem toten Autoknacker, geschrieben ist, der es nicht in den Himmel geschafft hat und seit der Nahtoderfahrung von Rechtsmediziner Martin Gänsewein diesem an der Backe klebt. Damit wäre der Inhalt des ersten Buches „Kühlfach 4“ eigentlich hinreichend erzählt. Dies hier ist nun der Nachfolgeroman.

Heiter und schrullig geht es hier weiter. Kurz zur Handlung: Fast erstochen liegt Martin Gänsewein im Krankenhaus. Dort lernt Geist Pascha eines Tages den Geist der toten Nonne Marlene kennen, die sich weder wundert, warum sie noch hier ist, noch eine Notwendigkeit darin sieht, ihren plötzlichen Tod bei einem Brand im Kloster aufzuklären. Pascha belehrt sie eines Besseren. Als dann noch Martin überzeugt werden kann, mitzumachen, nimmt die Handlung Geschwindigkeit auf. Im Laufe des Buches wird auch Birgit, Martins Freundin, mit in die Sache verstrickt. Sie erfährt außerdem von der Existenz Paschas. Da sie allerdings den Nonnen helfen will, ist sie begeistert dabei als es nötig wird, sich als Nutte verkleidet ins Kloster einschleusen zu lassen. Gemeinsam können sie den Fall um den Brand im Kloster lösen.

Im Verdacht stehen über die Länge des Romans eine ganze Handvoll Tatverdächtiger. Und da können eine ganze Menge Klischees abgearbeitet werden: Der Kleingartenverein im noblen Villenviertel, Die Rechtsaußen-Partei „Germania Voran“, die gegen Obdachlose mobil macht, der Etepetete-Loftbesitzer, der Edel-Architekt, die Zuhälter in Kleinkriminellen-Kreisen. Außerdem gibt es eine interessante Nebenhandlung: Martin will Pascha loswerden, weil ihn alle für verrückt halten. Er probiert dafür allerlei elektromagnetische Spielereien aus, die seiner Freundin Birgit dabei fast zum Verhängnis werden.

Die Anwesenheit und Unterhaltungen der beiden Geister Pascha und Marlene sorgen immer wieder für Erheiterung. Da trifft die ungehobelte Welt des Autoknackers und Lebemannes Pascha auf die andächtige Art der Nonne Marlene, was an sich schon für Gesprächsstoff sorgt. Jedoch wird das Stilmittel „auf die Phrasen des Gebets antworten“ einmal zu oft verwendet, was dieser humoristischen Stilblüte die Überraschung und Pointe nimmt. Pascha soll als abgebrühter Autoknacker außerdem sehr cool rüberkommen, aber die „coole“ Sprache wirkt bisweilen sehr künstlich. Denn „voll peino“ sagte man zuletzt irgendwann Mitte der 80er. Man kann ihn nicht wirklich ernst nehmen.

Der Schreibstil der Autorin erinnert mich allgemein sehr an den frühen Stefan Wolf. Die Art von Pascha zu reden und zu denken – immerhin ist das gesamte Buch aus seiner Perspektive geschrieben – die Beschreibungen der Häuser und Personen, bis hin zu der Art Handlungen wiederzugeben, die bereits passiert sind; all das trägt eine charakteristische Handschrift, die mir seltsam bekannt vorkam. Das macht das Buch aber nicht weniger lesenswert – im Gegenteil. Der rasante und abwechslungsreiche Schreibstil hält die Handlung zusammen und die Story lebendig. Die Autorin sorgt dafür, dass der Leser nicht zu Atem kommen kann und weiterlesen muss. Längen besitzt das Buch nahezu keine – Es bleibt bis zum Schluss spannend. Und die entsprechende Werbung lässt es bereits erahnen, die Protagonisten bleiben uns erhalten – jedenfalls für ein weiteres Werk.



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Freitag, 11. Mai 2018

Rezension „Dresden starb mit dir, Johanna“ von Henri Coulonges



„Dresden starb mit dir, Johanna“ von Henri Coulonges

Plötzlich Alarm, alle strömen zu den Ausgängen. Zwei Kinder flüchten nachts durch eine brennende Stadt, die im Bombenhagel untergeht. Den Überlebenskampf der Menschen in Dresden schildert der Autor derart plastisch und mitreißend, dass man sich der Erzählung nicht entziehen kann. Man irrt praktisch gemeinsam mit Johanna durch die Stadt.

„Wie liegt die Stadt so wüst, die voll Volks war. Alle ihre Tore stehen öde. Wie liegen die Steine des Heiligtums vorn auf allen Gassen zerstreut. Er hat ein Feuer aus der Höhe in meine Gebeine gesandt und es lassen walten.“ Die Trauermotette vom Kreuzkantor Rudolf Mauersberger, die er unter den Eindrücken der Zerstörung Dresdens schrieb, zementiert sich untrennbar von diesen Bildern in meinen Kopf. Es ist, als hätte Coulonges den Inhalt dieses Musikstückes in prosaische Texte gegossen. Nicht zuletzt auch weil die Protagonistin Johanna im Großen Garten und später im Haus Riedenberg auf den „Chorleiter des Kreuzchores“ trifft, der in diesem Roman Hans Kerbratt heißt, ergeben sich hier Parallelen.

Der Roman spielt in dem kurzen Zeitabschnitt von der Bombennacht am 13.2.1945 in Dresden bis zur Deutschen Kapitulation am 8.5.1945. Er schreibt vom Leben eines Mädchens, dass das Pech hatte im zweiten Weltkrieg aufzuwachsen. Das Buch ist in drei Abschnitte gegliedert. Der erste Abschnitt beschreibt Johannas Erlebnisse in der Bombennacht und unmittelbar danach. Der zweite Teil beschreibt ihren Aufenthalt im Haus Riedenberg beim Chorleiter und Franz und der dritte Teil beschreibt ihren Aufenthalt in Prag beim Archäologieprofessor Josef Hutka. Allerdings schafft es das Buch nach dem ersten Teil nicht die Spannung, Authentizität und Dramatik aufrecht zu erhalten.

Zwölf Jahre alt ist Johanna, als sie mit ihrer Freundin Hella einen Zirkus zur Fastnacht besucht und die Dresdner Bombennacht über sie hereinbricht. Damit verändert sich alles. Vor dem Angriff lebte Johanna mit ihrer Mutter Leni und ihrer Schwester Grete in einem Villenviertel der Stadt. Bis zu jenem Zeitpunkt hatte der Krieg Dresden verschont. Nachdem sie der Feuerhölle entkommen ist, kehrt Johanna zu ihrem Wohnhaus und ihrer Familie zurück – das Haus wurde getroffen, die Schwester ist tot, ihre Mutter von dem Ereignis verstört und völlig neben sich.

Im zweiten und dritten Teil passiert von der Handlung her in etwas genauso viel, wie in Fontanes „Effi Briest“. Aber der Autor (und Übersetzer) vermag es zwar mit Worten so geschickt umzugehen, dass man emotional bei den Protagonisten ist und ihr Schicksal mitempfindet, das Buch hat jedoch seine Längen

Johanna schafft es, ihre Mutter bis nach Dippoldiswalde zu einem Waldhaus zu lotsen, und Coulonges thematisiert Heimatlosigkeit und Flucht. Im Wald kommen sie beim Chorleiter und seinem Chor für ein paar Tage unter. Johanna lernt Franz kennen. Leni versucht zu fliehen und wird von einer Gruppe Rotarmisten vergewaltigt. Da Leni unberechenbar ist und dringend psychologische Hilfe braucht, beschließt Kerbratt Johanna in eine Klinik nach Prag zu senden. Während ihre Mutter dort behandelt wird, lebt Johanna bei Professor Hutka. Auch wenn der dritte Teil ein bisschen so geschrieben ist, wie Sofies Welt für Archäologen, so ist dieser Teil dennoch der einzige, der sich auch politisch und ideologisch der Zeit nähert und sich mit der Schuldfrage auseinandersetzt.

Ob wir es der ungewöhnlichen Biographie des Übersetzers oder dem Autor selbst verdanken. dass politischen Aussagen in den ersten beiden Teilen komplett übergangen wurden, vermag ich nicht zu sagen.
Im Original lautet der Titel des Buches „L'adieu à la femme sauvage“, was in etwa bedeutet: Abschied von der wilden Frau. Warum das Buch also auf Deutsch „Dresden starb mit dir, Johanna“ heißt, fragte ich mich das gesamte Buch über. Ist denn Dresden gestorben zu dem Zeitpunkt an dem Johanna starb? Auch ein Artikel, der in der Zeit vom 22.2.1985 über das Buch erschien, nennt den Titel irreführend. Das Buch erschien bereits 1979, die Übersetzung 1984. Vielleicht war Dresden zu dem Zeitpunkt des Zenits der DDR-Zeit eine mehr oder weniger tote Stadt. Viele sagen ja, dass Dresden erst durch den Wiederaufbau der Frauenkirche 2005 wieder „geheilt“ wurde. Heute jedenfalls erblüht Dresden wieder mehr denn je. Jedoch mit einem leicht verschobenen Komma ergibt der Titel wesentlich mehr Sinn: „Dresden starb, mit dir Johanna“. Somit wäre ihr Tod quasi die kausale Folge aller Ereignisse nach der grausamen Zerstörung Dresdens.

Johanna kämpft ihren Kampf zwischen Hoffnung und Verzweiflung und verliert am Schluss.
Sie erlebt die Zerstörung ihrer Kinderheimat als Beginn einer größeren Zerstörung und schließlich auch der Zerstörung ihres eigenen Lebens. Es ist ein langsames Abschiednehmen von der „wilden Frau“, ihrer völlig verstörten Mutter Leni. Es ist ein Abschied nehmen von der Heimat, Abschied nehmen von der Kindheit, Abschied nehmen von den Freunden und schließlich Abschied vom Leben.

Auch wenn Johanna für eine Zwölfjährige bisweilen sehr kindlich dargestellt wird, hofft man mit ihr, dass sie einen Neuanfang nach all dem Chaos finden kann. Deshalb kommt das Ende des Buches wie ein unerwarteter Paukenschlag, der einen entsetzt zurücklässt. Das Buch ist wahrlich keine leichte Lektüre und es findet kein Happy End. Genauso, wie es für über 23.000 Menschen in Dresden kein Happy End gab. Der Roman erzählt die Geschichte all jener, die die Bombennacht in Dresden erlebt und überlebt haben. Es ist ein Mahnmal für alle, das zeigt, was Krieg mit Menschen anrichten kann und wie Krieg ganze Generationen zerstört und traumatisiert. Dafür erhielt Coulonges auch den höchsten französischen Literaturpreis, den Grand Prix der Académie Française.

Bildnachweise:

Deutsche Fotothek‎ [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)], via Wikimedia Commons