„Das doppelte Lottchen“ von Erich Kästner
Das Familienbild der 50er Jahre
hat sich gewandelt. Das Bild von der alleinerziehenden Mutter oder dem
alleinerziehenden Vater gehört heute schon fast zum Alltag – leider. Umso
mutiger ist es, dass Erich Kästner in diesem Buch ein Familienbild beschreibt,
was so überhaupt gar nicht in seine Zeit passt.
Luise Palfy aus Wien und Lotte Körner
aus München treffen sich im Ferienlager in Seebühl am Bühlsee und stellen fest,
dass sie sich gleichen, wie ein Ei dem anderen und auch noch am selben Tag
Geburtstag haben. Nach der Scheidung hat jedes Elternteil je eines der beiden
Mädchen zu sich genommen und großgezogen. Die beiden Mädchen wussten bisher
nichts voneinander. Bis sie allerdings akzeptieren, dass sie echte Zwillinge
sind, vergeht erst einmal eine Weile. Doch dann beginnen sie zusammenzuarbeiten
und hecken einen Plan aus. Luise soll als Lotte nach München zu ihrem Vater zurückfahren
und Lotte als Luise nach Wien.
Der einzige, der diesen Tausch
bemerkt, ist der Hund des Hofrats, denn das Mädchen riecht anders. Die Eltern
und die Erwachsenen allgemein fallen auf den Tausch blind herein. Natürlich
fällt dann auf, dass etwas nicht ganz stimmt, als die eine plötzlich Sachen
kann, die sie vorher nie konnte und die andere Dinge verlernt hat, die ihr
eigentlich immer gut gelangen. Doch erst als der Vater neu heiraten will,
fliegt die Sache endgültig auf, denn Luise wird vor Kummer schwer krank. So
steht bald die vereinte Familie am Krankenbett und die Eltern beginnen sich neu
ineinander zu verlieben. Und tatsächlich beschließen sie es doch noch einmal
miteinander zu versuchen und sie heiraten wieder. So gibt es am Ende doch die
heile Welt der 50er Jahre mit dem klassischen Familienbild.
Bis dahin passieren aber noch
allerhand Abenteuer und lustige Begebenheiten, die Kästner sehr lustig und
kindgerecht beschrieben hat. Seine offene und humorvolle Art zu schreiben,
kommt bei den Kindern aller Generationen gut an. Kästner nimmt seine jungen
Leser ernst und fordert gar von den Erwachsenen, dass sie Kinder bleiben. Das
ist auch einer der Gründe, warum die Kinder in dieser Geschichte durchweg als schlauer
und vorausschauender, als Erwachsene beschrieben werden.
Die Veröffentlichung und
Verfilmung dieser Geschichte sorgte in der Nachkriegszeit für heftige
Diskussionen. Kästner hatte das Familienbild angegriffen. Ein Kinderbuch mit
dem Thema Scheidung herauszubringen, war für die späten 40er Jahre sehr
radikal. Zudem führt er eine selbstständige, alleinerziehende und berufstätige
Mutter als Figur ein. In den Kinderbüchern der Nachkriegszeit gibt es kaum
Krankheit und Tod oder eben zerrüttete Familienverhältnisse. Kästner bäumt sich
gegen dieses Heile-Welt-Muster auf. Er schaut hinter die Kulissen und entdeckt
überall Kinder, die das Elend sehen, die in kaputten Familienverhältnissen leben
und Schwierigkeiten haben, damit fertig zu werden. Mit diesem Buch, mit Hilfe
der Figuren, in die man sich leicht hineinversetzen kann, will Kästner Kindern
eine Hilfe an die Hand geben, die psychischen Belastungen zu verstehen und
aufzuarbeiten und aus eigener Kraft zu beseitigen. Kästner kommentierte das Buch
irgendwann einmal so: „Wenn man aber den Kindern zumutet, unter diesen
Umständen zu leiden, dann sei es doch wohl allzu zartfühlend und außerdem
verkehrt, nicht mit ihnen darüber in verständiger und verständlicher Form zu
sprechen!"
Obwohl es ein ernstes Thema
behandelt, ist dieses Buch gleichzeitig sehr spannend und humorvoll
geschrieben. Lachen und Weinen liegen hier nah beieinander. Auch wenn Kästner
die Kinder vielleicht etwas zu sehr idealisiert als phantasievolle Wesen, denen
alles gelingt, wenn sie es sich nur aus tiefstem Herzen wünschen, so schaffte
er es eine Geschichte zu schreiben, die auch viele Generationen später noch brandaktuell
ist und immer noch Kinder auf aller Welt in ihren Bann zieht
Folge mir auf Facebook und Twitter, um immer über neueste Blogartikel informiert zu werden.
Folge mir auf Facebook und Twitter, um immer über neueste Blogartikel informiert zu werden.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen