Donnerstag, 23. November 2017

Rezension: DDR-Science Fiction-Literatur (verschiedene Werke)



Durch Zufall gelangte ich an eine große Menge DDR-Science-Fiction-Literatur. Von den einen als „rote Gehirnwäsche“ verschrien, von den anderen als „geliebte Kindheit“ bezeichnet, bilden die in der DDR erschienenen Scifi-Romane ein interessantes Bild des Kommunismus ab. So oder so lohnt es sich diese Bücher einmal anzusehen.

Vier Bücher möchte ich hier vorstellen:

Sieben fielen vom Himmel“ von Alexander Kröger

 
Das Erstlingswerk von Kröger, das 1969 erschien, behandelt den Absturz eines Raumschiffes mit sieben Insassen auf einem fremden Planeten. Schon auf den ersten Seiten wird klar, dass mit “der Blaue Planet“, „der Dritte“, der hinter „dem Roten“ liegt, nur die Erde gemeint sein kann. Bei den Schiffbrüchigen handelt es sich also um Außerirdische, die auf der Erde landen. Mit ungewöhnlichen Beschreibungen für Flora und Fauna wird der tatsächliche Landeort Erde verschleiert. Ein Kunstgriff, den Kröger noch in anderen Romanen anwendet.
Die Ankunft der centaurischen Raumfahrer* wird aus mehreren Perspektiven beleuchtet: Aus Sicht der Schiffbrüchigen selbst, aus Sicht eines Beobachtungspostens russischer Militärs auf dem Ozean, aus Sicht eines amerikanischen Inka-Forscherteams und aus Sicht einer weltumspannenden Weltraumbehörde.
Anfangs irren die Ankömmlinge durch den unwegsamen peruanischen Dschungel. Einer der sieben Gefährten, Mangk, (Warum müssen Menschen in der Zukunft oder Außerirdische immer so seltsame Namen tragen?) ging beim Absprung verloren. Er irrt nun alleine durchs Gehölz und wird von Ureinwohnern gefunden. Ein Forscherteam will alte Inka-Gebäude finden und trifft auf den von den Indios beherbergten Kosmonauten. Nun soll die Kunde über Aliens nicht gleich an alle Medien weitergegeben werden und die Außerirdischen wollen zunächst auch primär, dass ihr Raumschiff nach ihren Plänen gebaut wird, damit sie zurückkehren können nach Alpha Centauri. Aber dann wollen sie eben auch die Menschen studieren, so gut es geht und ihre Geschichte und alle Lebewesen auf dem Planeten erforschen. Dabei werden sie in irdische Auseinandersetzungen und Machtintrigen verwickelt, die sie von ihrem Planeten nicht kennen.
Der packende Schreibstil verleitet zum nächtlichen Durchlesen dieses Romans. Stück für Stück setzt sich das Puzzle zusammen aus den verschiedenen Perspektiventeilen. Es fehlt nicht an Action, es gibt Intrigen, gibt zwischenmenschliche Probleme, es gibt wissenschaftliche Elemente - kurzum das Buch enthält alles, was es für einen spannenden Scifi-Roman braucht.
Das sozialistische Element ist hier sehr schwer auszumachen. Es schaut wohl am ehesten hervor, wenn die Außerirdischen über die Zustände auf ihrem Planeten sinnieren und diese Zustände mit denen auf der Erde vergleichen. Bei ihrer Rückkehr nach Hause spielt eine Art Gutmenschenversion der UNO eine große Rolle. Diese fungiert als sozialisitisch organisierte Generalvertretung aller Staaten. Und obwohl gerade wieder ein US-amerikanischer Großkonzern dafür herhalten müssen der Böse zu sein, werden eben auch Amerikaner als diejenigen beschrieben, die den Aliens schlussendlich helfen sich aus der Gefangenschaft zu befreien und nach Hause zurückzukehren.

*Auf der Webseite des Autos werden sieben fielen vom Himmel, dass Kosmodrom im Krater Bond und Energie für Centaur als Centauren-Trilogie bezeichnet.


„Sprung ins Übermorgen“ von Pjotr Woronin

Das Buch, was im Verlag Neues Leben 1975 erschienen war, beschreibt, wie ein Mann nach einem Streit mit seiner Freundin elendiglich in der Eiswüste stirbt und mehrere hundert Jahre später von einer fortschrittlicheren Menschheit wieder aufgetaut wird. Valentin Seljanin weiß zunächst nicht von seinem Glück, als er sich im Krankenhaus wiederfindet und seine (Ex-)Freundin Olga erblickt, die ihn Stück für Stück ins Leben zurückbegleitet und schließlich auch erzählt, was mit ihm wirklich passiert ist. Olga heißt eigentlich Elja und sieht der Geliebten nur verdammt ähnlich. Valentin befindet sich nun in der Zukunft, in der sich einiges geändert hat.
Nun stellen sich dem Leser viele Fragen: Wie lebt es sich so allein unter Fremden? Gibt es eventuell späte Angehörige, die man aufsuchen kann? Was hat sich verändert auf der Welt? Wie ist die politische Lage? Was gibt es für wissenschaftliche Fortschritte? Wie leben die Menschen auf der Erde der Zukunft?
Nun, der Roman beantwortet diese Fragen nur marginal. Statt auf diese drängenden Fragen einzugehen, beschäftigt sich Valentin in seinem neugewonnenen Freundeskreis aus Elja, Halil, Filip und Noemi (warum müssen Menschen in der Zukunft oder Außerirdische immer so teilweise abstruse Namen tragen?) mit Ängsten in Fluggeräte zu steigen, seiner undurchsichtigen Liebe zu Elja, politischen Diskussionen über die Begrünung des Planeten und die Unterschiede von Arbeitern und Wissenschaftlern sowie einem eigenartigen Himmelskörper, der die Erde besucht.
Alle diese Ereignisse stehen in keinem Zusammenhang und werden auch genauso zusammenhanglos erzählt. Man hat zeitweise das Gefühl, dass zwischen den Zeilen irgendwie Textteile verloren gegangen sind. Nur das kann die abstrusen Zeitsprünge erklären, nur das kann die fehlenden Handlungsstränge erklären, diese wiederum würden eventuell erklären, warum in diesem Buch Dinge geschehen, wie sie geschehen. Aufgrund der vielen “Lücken“ lässt sich das Buch nicht flüssig lesen und hinterlässt mehr Fragen als Antworten.
Der Schreibstil ist auch nicht so überragend gut. Valentin ist mehr eine Person im Hintergrund, statt einer handelnden Hauptperson. Ihm wird eigentlich das ganze Buch hindurch nur irgendetwas erklärt - meistens Dinge nach den er nicht gefragt hat. Dann schaut er sich wieder in seiner schweigsamen Art irgendetwas an. Das Bild wird zur Hälfte beschrieben. Aber man steht orientierungslos im Raum und kann das Bild nicht in einen Zusammenhang setzen mit dem bereits Gelesenen. Und Valentin analysiert es auch nicht, er sieht es nur, nimmt es nur wahr.
Nicht nur durch die Blume und auch nicht nur nett gemeint, damit das Buch erscheinen kann, ist hier der rote Vorhang (auf Seite 155), wo die vier, fünf Freunde über die sozialistische Revolution und die Überlegenheit der Wissenschaft schwadronieren und Marx und Lenin preisen. Und das noch nicht einmal glaubwürdig und ausführlich oder gar fundiert, sondern - wie eigentlich das gesamte Buch - oberflächlich und ungenau.
Schade, denn dieses Thema der Kybernetik und des Einfrierens und Wiederauftauens von Menschen und somit das Unsterblichmachen von Menschen und Überdauern in der Zeit ist sehr spannend und hätte viel packender erzählt werden können.


Expedition Mikro“ vom Alexander Kröger

Wie schon in seinem Erstlingswerk „Sieben fielen vom Himmel“ beschreibt Kröger die Ankunft einer Expedition mit einem Schiff an Land, nachdem ein anderes Schiff verschollen ist. In dem 1976 erschienenen Roman versuchen die Expeditionsteilnehmer in einer Welt der Riesen zu überleben. Sehr spät allerdings fällt dem Leser auf, dass die bisher „normal“ wirkenden Protagonisten des Romans die sind, die nicht normal sind und die „Riesen“ die eigentlichen normal großen Menschen sind, wie du und ich. Und wieder ist es die ungewöhnliche Beschreibung der Fauna und Flora aus Sicht der Winzlinge, die den Landeort für uns so fremd erscheinen lässt, obwohl es sich um unsere normale Umwelt handelt. Auch hier arbeitet der Autor mit der Sicht aus zwei Perspektiven: Aus der Sicht der durch Genmanipulation ins winzige verkleinerten Menschen Gela, Ennil, Chris, Charles, Karl und Carol und aus der Sicht der Menschen, die die Mikro-Menschen entdecken.
In "Expedition Mikro" müssen sich die Nachfahren einer militanten US-amerikanischen Sekte mit den Folgen ihrer Miniaturisierung auseinandersetzen und bei ihrer Ankunft kommt es zu Schwierigkeiten mit Amerikanern.
Der Mikromensch ist alleine nicht überlebensfähig. Zahlreiche Hürden müssen überbrückt werden, viele Gefahren lauern draußen in der Riesenwelt. Schon ein kleiner Vogel oder ein Windhauch kann mit den Mikromenschen und ihren Gebäuden und Fahrzeugen schlimmes anrichten. Derweil haben auch die großen Menschen ihre Problemchen - eine Stadt wird von gefräßigen Mikroorganismen heimgesucht, die den Beton zerstören, aus der die Stadt besteht.
Der Roman ist durchgehend sehr spannend erzählt und lässt sich sehr gut lesen. Man kann sich die Figuren und die Umgebung sehr gut vorstellen, denn Kröger spart nicht an landschaftlichen Beschreibungen. Die Dialoge sind packend geschrieben und die Story ist teilweise sehr actionreich.
Relativ offensichtlich findet sich hier der sozialistische Anklang in der Betrachtung zweier sozial unterschiedlich aufgebauter Kulturen. Die eine lebte in jahrelanger Isolation und musste sich an die Umwelteinflüsse anpassen. Sie war entstanden aus dem Glauben, dass der Mensch mit seinen Ressourcen nicht mehr lange reichen würde und durch Miniaturisierung die Ressourcen länger reichen würden und auch der Wohraummangel beseitigt werden könnte. Diese Zivilisation wird als die sozial überlegenere dargestellt, weil in ihr alle gleichberechtigt leben und jeder jedem hilft, alle am gleichen Strang ziehen und… naja, Sozialismus halt. Die andere Gesellschaft ist eine Leistungsgesellschaft, in der einige Personen anderen nicht trauen können, in der es Umweltprobleme gibt, in der sich die Mächtigen untereinander rivalisierend verhalten. Sieht man von dieser offensichtlichen "Gehirnwäsche" ab, ist der Roman dennoch sehr unterhaltsam und auf jeden Fall spannend geschrieben.


„Stern auf Nullkurs“ von Klaus Frühauf

Das Buch beginnt etwas hölzern, entwickelt sich dann aber nach etwa 50 Seiten zu einem spannenden Roman. Ein Forscherteam rund um Tonder, Kalo, Pela und Dona (warum tragen Leute aus der Zukunft immer so komische Namen?) fliegt zur Außenbasis Pluto III, um dort Kontakt mit einem Himmelskörper aufzunehmen, der kurz davor ist, ins uns bekannte Sonnensystem hineinzufliegen. „Der dunkle Stern“, wie ihn alle nennen hält direkten Kurs auf die Sonne. Wenn die Menschen nichts unternehmen wird es zum Crash kommen und mit der Sonne alles Leben auf der Erde auslöschen.
Die ersten Seiten sind sehr stückig, die Informationen bruchstückhaft und es will sich kein klares Bild herauskristallisieren: Weder von den Hauptfiguren noch vom Protagonisten Kommunikationstechniker Kalo selbst. Das Raumschiff mit dem sie zum Pluto fliegen bleibt ebenso unbeschrieben, wie die Raumstation vor Ort, von der wir immerhin erfahren, dass sie einen Pool besitzt und, dass man sie ab und an enteisen muss. Auch über das Leben und den Auftrag von Kalo erfahren wir nicht viel. Er hatte eine Freundin, von der er sich aber getrennt hat, weil sie ihm nicht glauben wollte, dass es Außerirdische gibt und sich über seine Arbeit lustig gemacht hat. (Sie haben wohl auch ein Kind um die 6 Jahre, aber die Beschreibungen sind so dürftig, da würde ich meine Hand nicht für ins Feuer legen.) Das einzige, was Kalo also auf seiner langen Reise zum Pluto umtreibt ist die Frage bei welcher der beiden ansehnlicheren Damen an Bord er am ehesten landen kann und wie er sich an sie ranmacht. Erst als alle Kontaktaufnahmeversuche mit potentiellen Leben auf dem Himmelskörper fehlschlagen und ein Raumschiff Kurs auf den dunklen Stern nimmt, wird die Erzählung stringenter. Und fortan ist dann auch klar, worum es sich bei dem dunklen Stern handelt: Eine Dyson-Sphäre. Die Bewohner sind staatenbildende intelligente Insekten.
Leider verfällt der 1979 erschienene Roman nach dieser ersten Begegnung wieder in seinen stückigen Kurs. Handlungstechnisch fliegen Kalo und Co. hin und her, um mit Ankömmlingen und Erdbewohnern zu verhandeln, welche Variante die bessere sei: Eingliederung der Astraten – wie sie sich selbst nennen – oder sie ziehen lassen und sie damit dem sicheren Tod ihrer Zivilisation überlassen. Überleitungen zwischen all diesen Handlungsteilen fehlen aber weitestgehend, dafür gibt es hin und wieder plötzliche Rückblicke, die irgendwie fehlplatziert wirken und man ist sich nie ganz sicher, wo man sich gerade befindet, denn der Ort wird meistens nicht genannt, sondern nur in einem Nebensatz zufällig erwähnt – oder eben nicht.
Die große Sozialismus-Keule gibt’s in diesem Buch nicht. Die Fragen nach Gesellschaftsformen sind über das gesamte Buch verteilt: Zum einen die Unterscheidung zwischen gruppengebundenen Zivilisationen und Zivilisationen mit Individualwesen. Zum anderen die Frage nach humanitären Ländern und egoistischen Ländern bzw. Personen (wenn es um die Aufnahme der Astraten geht). Doch auch hierbei hat zwar Kalo als Protagonist stets eine eigene Meinung und Präferenz versucht aber die jeweils andere Meinung auch zu verstehen und wägt ab. Er ist sich unsicher, ob seine getroffene Entscheidung, ob seine Meinung die richtige ist. Damit lässt das Buch vieles offen und drückt den Leser nicht in eine Richtung.


Fazit
Die meisten alten SciFi-Bücher sind nicht nur „sozialistische Schinken“, sondern sind durchaus spannende Retro-Weltraum-Literatur, allerdings muss man hier stark unterscheiden zwischen Büchern, die veröffentlicht wurden weil es der Autor wirklich drauf hatte oder Büchern, die veröffentlicht wurden weil die Nachfrage nach neuen Büchern groß war und schnell ein neues Buch her musste, egal, wer es schreibt. So zumindest hab ich manchmal das Gefühl gehabt, dass jenseits von Kröger die Reihen derer, die spannend erzählen können, echt dünn gesät sind.

Noch mehr
Wissenschaftlich interessant sind die folgenden Abhandlungen:
a)      Die Begegnung mit außerirdischen Lebensformen: Untersuchungen zur Science-Fiction Literatur der DDR
b)      Science-Fiction: Personalia zu einem Genre in der DDR
c)      Die Science-Fiction der DDR
Eine sehr lesenswerte Analyse von Science-Fiction betrachtet aus dem Jahr 2011 ist das Buch Das Science-Fiction Jahr 2011.

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