Mittwoch, 25. April 2018

Rezension: „1984“ von George Orwell



„1984“ von George Orwell

Im Jahre 1948 schrieb George Orwell seinen Klassiker 1984. Eine Dystopie – also eine schaurige Zukunftsvorstellung im Gegensatz zur Utopie.

Die drei Gebiete Ozeanien, Eurasien und Ostasien befinden sich miteinander in einem dauerhaften Krieg, wobei die generischen Parteien häufig wechseln. Der Roman spielt in Ozeanien, genauer gesagt in dem Teil, den man früher England nannte. Ozeanien ist ein totalitärer Staat, der seine Bevölkerung mittels einen „großen Bruders“ und der „Gedankenpolizei“ überwacht. Die Bevölkerung gliedert sich in Innere Partei, äußere Partei und Proles (Volk). Das omnipräsente Staatsfernsehen schürt Hass auf einen unsichtbaren Staatsfeind, der später als „Emmanuel Goldstein“ bezeichnet wird, welcher die Untergrundorganisation „Bruderschaft“ leitet. Das alltägliche Leben ist geprägt von harter Arbeit und Entbehrungen und permanenter Unterdrückung durch Sprach- und Gedankenkontrolle. Den Teil der Kontrolle führt Orwell besonders ausführlich aus. (Dem Roman ist  sogar ein Sonderteil angefügt, der die Sprache „Neusprech“ noch einmal detailliert erläutert.)

Hauptfigur ist Winston Smith, der im „Ministerium für Wahrheit“ täglich alte Zeitungsartikel ändert, damit sie zur vorgegebenen aktuellen Wahrheit passen. Er lehnt das System heimlich ab und führt Tagebuch. Julia, eine Arbeitskollegin wird zu seiner Geliebten und beide versuchen sich heimlich zu treffen und nehmen mit der Untergrundorganisation Kontakt auf. In O’Brien glauben sie einen Gleichgesinnten gefunden zu haben, später jedoch stellt er sich als Mitglied der inneren Partei heraus, der beide ausliefert, foltert, psychisch traktiert und schließlich töten lässt.


Nach Fahrenheit 451 war die Lektüre von „1984“ und „LTI“ nur eine logische Folge. Die Stärke des Romans liegt auch eindeutig in der Erfindung und sprachlichen Klassifikation des „Neusprech“ Der Roman selbst bleibt sprachlich, erzählerisch und dichterisch weit hinter Fahrenheit 451 zurück. Orwell will so verstanden werden, wie er es schreibt, nüchtern und trocken. Selbst die Liebesbeziehung von Winston zu Julia ist eher zweckmäßig, als emotional. In gewisser Hinsicht symbolisiert dieser Sprachstil auch die Gesellschaft die in dem Buch beschrieben wird. Sie hat bereits jegliche Emotion verlernt.



Auf der Welle von Verschwörungstheorien im heutigen Internet schwimmend, wird hier demonstriert, wie eine Politik um der Aufrechterhaltung eines Krieges wegen Nachrichten manipuliert, Menschen gegeneinander hetzt (nicht nur im Großen in den Zweiminuten-Hass-Sendungen, sondern auch im Kleinen zwischenmenschlich wenn sogar Kinder ihre Eltern anzeigen) und Emotionen komplett ausmerzt.


Orwell hat bewusst die manipulative Grausamkeit des totalitären Staates überzeichnet dargestellt, um die höchste Form der Kontrolle aufzuzeigen: Du kannst keinem mehr trauen, du musst glauben, was der große Bruder dir vorgibt, ansonsten wirst du abgeholt und verschwindest und niemand erinnert sich, dass du je existiert hast. Also musst du dem großen Bruder und seinen Entscheidungen und Vorgaben absolut glauben, um zu überleben. Dadurch ergibt sich zwangsläufig ein Determinismus: Alles ist vorbestimmt.

Rund ein Drittel des Romans beschäftigt sich am Ende nur noch mit der emotionalen und körperlichen Brechung des Willens und Glaubens des Protagonisten sowie der Vernichtung seiner Erinnerungen und dem Zwang zu linientreuem Verhalten. Orwell betont hier klar das destruktive und menschenverachtende Element der von ihm erschaffenen Welt, er schreibt weder analysierend, noch anklagend, noch zeigt er Lösungswege auf. Das Buch endet mit dem abrupten Tod des Protagonisten und erhält die Schreckensvorstellung einer immer weiter in dieser Form existierenden Welt aufrecht.

In der Germanistik ist Neusprech längst ein Thema. Soziolinguistisch auf einer Ebene mit der Sprache des dritten Reichs und der Sprache der DDR anzusiedeln, zeigt Neusprech, wie Politik Sprache gezielt verändert, um Veränderung im politischen und sozialen Leben hervorzuheben oder zu vertuschen. So ist in heutigen linken Zeitungen beispielsweise die Nähe zu Kampfmetaphorik deutlich zu erkennen.

Das Verstehen eines Wortes setzt sich zusammen aus der erlernten Kenntnis der Bedeutung, der Mimik und Gestik des Sprechers und dem Kontext. Wittgenstein postulierte: „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.“ Die Bedeutung eines Wortes setzt sich also aus vielen kleinen Einzelbedeutungen zusammen. Neusprech verwendet mehrheitlich das Umdeuten von Wörtern, z.B. mit seinen Parolen: Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke. Viel spannender allerdings ist das Phänomen des Nichtnennens. Denken benötigt Wörter, um sich in abstrakten Bereichen manifestieren zu können. Die Partei unterbindet mit dem Nichtnennen oder unklaren Überschneidungen von Anfang an, dass über ein alternatives System nachgedacht werden kann. Durch fehlendes Vokabular können viele Aussagen nicht begründet werden oder differenziert betrachtet werden.

So etwas begegnet uns zum Beispiel heute schon, wenn wir in einem Fragebogen nur eine begrenzte Menge an Auswahlmöglichkeiten haben und uns daran gewöhnen, bzw. diese nicht mehr hinterfragen. Vor allem in sozialen Medien findet eine solche Einengung bereits statt. George Soros malte im Handelsblatt ein noch viel düstereres Bild über soziale Medien und ihre Macht über die Freiheit zu Denken.

Soziale Medien nehmen außerdem bereits heute Einfluss auf unser Denken. Google findet beispielsweise nur Begriffe, die zu unseren bisherigen Suchergebnissen und Suchanfragen passen und zu der Gegend, in der wir uns befinden. Google hat außerdem überlegt, ob sie für Fragen nach Terrornetzwerken den Algorithmus so umschreiben, dass der Suchende nur gegenteilige Antworten findet z.B. ein Hilfezentrum für Aussteigewillige, wenn er nach Bombenbau googelt. Was uns hier als positiv verkauft wird, kann im Umkehrschluss auch für die bewusste Manipulation politischer Willensbildung verwendet werden.



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